»Der wesentliche Wert der Frau liegt in ihrer Gebärfähigkeit und in ihrem hauswirtschaftlichen Nutzen«, befand Kirchengelehrter Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert. Dank der Corona-Maßnahmen ist das weibliche Geschlecht wieder zum Heimchen am Herd mutiert. Keine Mädels-Abende, Café-Ausflüge, Wellness-Wochenenden, Shopping-Trips, Fitnessstudio-Eskalationen, Wochenend-Fortbildungen, Überstunden mehr. Stattdessen hüten wir Frauen während der Pandemie wieder Heim, Herd und Horde.

Der beste Nebeneffekt: Mann und Kinder gewöhnen sich rasant an die allseits präsente Köchin, Spielgesellin, 24h-Ansprechpartnerin, Zubettbringerin und Putzfrau. Dabei ist eine Frau unergründlich und trägt ein komplexes Universum in sich. Sie ist Liebende, Mutter, Berufstätige, Partnerin, Freundin, Tochter, Schwester, Netzwerkerin, Helfende, Style-Expertin, Lebensberaterin, Kriegerin, Gütige, Planerin, Perfektionistin – und das alles gleichzeitig.

Wenn auf Erden Glück möglich ist, dann erst, wenn wir die Größe der Frau begriffen haben.

Maxim Gorki

»Die Einschränkungen, die der Frau durch ihre Erziehung und durch ihre Gewohnheit auferlegt werden, begrenzen ihren Zugriff auf das Universum«, schrieb Feministin Simone de Beauvoir vor 70 Jahren. Im 21. Jahrhundert unterscheidet sich das Rollenverständnis der Frau gar nicht so sehr von dem alten.

Die weiblichen Irrungen und Wirrungen sind lang nicht emanzipiert, wie diese kurzen Frauenporträts aus dem Umfeld veranschaulichen:

Rike, 34, ist zweifache Mutter und Restauratorin. Sie erfüllte sich kürzlich den Traum von der Selbstständigkeit. Die Stunden aber, die ihr zur Verfügung stehen, seien zu knapp für aufwändige Restaurierungen oder weitere Aufträge. Stets ist sie für die Kids parat, übernimmt alle Fahrdienste, die Hausaufgabenbetreuung, Essenszubereitung, Hobbypflege der Kinder usw. Der Mann arbeitet voll als Galerist und verreist viel. Sie fühlt sich allein gelassen. Das führe oft zu Diskussionen. »Als berufstätige Mutter muss man stets darauf achten, nicht zu zerbrechen zwischen den Mühlen der Verantwortung, Wünsche und Realität.« Frauen seien wie Kunstwerke, erklärt Rike, mit ihrem eigenen Stil können sie ihre Individualität und Tiefgründigkeit ausdrücken.

Isabel, 42, hat auch zwei Kinder, lebt aber als Ärztin in Vollzeit ihren beruflichen Traum. Ihr Mann arbeitet reduziert und kümmert sich vornehmlich um den Nachwuchs. Er ist stolz auf den Ehrgeiz und Erfolg seiner Partnerin. Und sie ist sehr glücklich über diese Chance. »Wenn nur dieses latent schlechte Gewissen nicht wäre, dass ich mehr Mutter und Ehefrau sein sollte.«

»Ich bin meistens wütend«, erklärt Sara, 36, dreifache Mutter. Sie kommt aus dem Orient und lebt in einem Haus mit vier Generationen. Das führte über die Jahre dazu, dass sie sich stark anpasste und mehr Küche, Kinder und die Haltung »Männer first« lebt, als ihr lieb ist. Daher die Wut. Aber ein Auszug ist geplant, sobald das Eigenheim steht. Das macht ihr Hoffnung. Die temperamentvolle Friseurin freut sich endlich auf einen Alltag mit Kindern und Mann, wo sie sich nicht unterordnen muss, sondern ihren Bedürfnissen nachgeht.

Tina, 50, Assistentin der Geschäftsführung ist ein Organisationstalent, Problemlöser, rhetorisch stark, selbstbewusst. Sie ist Single und leidet unter der Einsamkeit. Die Konflikte der Frau entstünden dadurch, was andere von ihr erwarten: Berufstätige, die flankierend Mutter, Hausfrau und Ehefrau, Geliebte, Heilige, Hure sein soll. »Haben wir den Mut, die Mittel und nach Jahrzehnten der zermürbenden Rollenspiele, die Energie, das zu sein, was wir in uns spüren? Kehren wir nicht immer wieder in die alten Muster zurück, weil wir zwar nach außen selbstbewusst und selbstbestimmt sind, schlussendlich aber immer wieder an den Mauern der Konventionen, an den alten Erziehungsmustern scheitern? Wir wollen lieben und geliebt werden. Gleichzeitig eigenbestimmt und frei sein. Nur wenigen gelingt der Spagat.«

Petra, 47 lebt eine Patchwork-Konstellation. Sie hat zwei Jungs, ihr Partner eine Tochter. Das birgt bisweilen viel Entzündungspotential. Der Mann handelt völlig ungehemmt. »Ich habe aber stets das Gefühl, mich sehr bemühen zu müssen, fair zu bleiben und allen gerecht zu werden«, berichtet die Physiotherapeutin. Auch beim Thema Körperverständnis müssten sich Frauen mehr anstrengen und unterlägen einem Schönheitsdruck. »Männer dürfen Bierbauch, Geheimratsecken, Glatze, O-Beine haben und finden sich wunderbar und sexuell anziehend. Wir Frauen grämen uns bei den kleinsten Falten und Speckröllchen.« Und doch sei es wunderbar, eine Frau zu sein. »Wir sind tiefgründig, reflektierter, verbal meist stärker, dürfen schwach, gütig und emotional sein. Frauen sind mit dem Göttlichen verbunden.«

Michi, 40, ist Prozessmanagerin im öffentlichen Dienst. Beruflich geht es bergauf für sie. Sie ist redegewandt, charmant, witzig und präzise. Das kommt gut an und sie hat nun zusätzlich einen Lehrauftrag an der Hochschule ergattert. Privat aber litt sie viel. Sie liebt schon immer nur Frauen und fühlt sich seit ihrer Jugend »anders«. Sie wollte nie mit Puppen spielen und Kleidchen tragen. Mit ihrem weiblichen Körper hatte sie keine gute Verbindung. Magersucht und Adipositas sind einige Stationen, die sie endlich hinter sich gelassen hat. Ihre 20 Jahre ältere Lebenspartnerin hat viel dazu beigetragen, dass sie sich heute wertschätzender betrachtet. »Was ich am Frausein mag, kann ich nicht sagen, aber was ich als Mensch an mir schätze sind z.B. meine ausgeprägte Empathie und mein Humor.«

Felizitas, 38 ist Kosmetikerin im Dauer-Standby. Sie hat vier Kinder. »Das Leben fragt nicht: willst du dein eigenes Kosmetikstudio und gleichzeitig viele Kinder, sondern: Entscheide dich!« Sie wählte das Mutterglück. Denn auch die biologische Uhr hat ein Mitspracherecht. Da ihr Mann bereits selbständig ist, war die Rollenverteilung schnell klar. Die berufliche Entfaltung muss noch warten. Ihre Winzlinge täglich glücklich zu machen sei eine Herausforderung und ein Geschenk zugleich. Für ihre Beauty-Themen nimmt sie sich dennoch Zeit. Haare stylen, Hautpflege, Schminken – Felizitas liebt es, kreativ zu sein, mit ihren Händen Schönes zu zaubern. »Und wenn man nur den Müll rausbringt oder zum Supermarkt fährt – für den Selbstwert einer Frau ist es wichtig, sich täglich hübsch zumachen.«

Moni, 53 hätte gern Kinder gehabt. »Natürlich war ich deprimiert, dass es nicht geklappt hat. Aber ich bin glücklich verheiratet, habe einen tollen Job, ein großartiges Netzwerk von Freunden, Kollegen und Familie, viele Hobbys und bin finanziell unabhängig – das macht mich dankbar!« Sie lebt ihr Leben nun voller Humor und Leichtigkeit. »Ich bin gerne Frau. Schöne Schuhe, Taschen und Kleider zu shoppen, mich zu stylen und mein Prinzessinen-Dasein zu zelebrieren, ist einfach traumhaft. Ich mag es, mich an eine starke Männerschulter anzulehnen und verwöhnen zu lassen.« Lediglich beim Thema »Altern« müsse sie aufpassen, dass sie nicht in die Spirale rutsche. »Älter werden wird uns Frauen heute nicht leicht gemacht, weil überall die »ewige Jugend« versprochen wird.«

»Als Frau habe ich viel mehr Möglichkeiten meine Kreativität auszuleben, es wird einem eher Verrücktheit verziehen, ich darf weniger mutig sein und bin keinem Ranggehabe ausgesetzt«, erklärt Katja, 43. Sie trieb fast täglich Sport, reiste als Flugbegleiterin um die Welt und schloss nebenher eine Yoga-Ausbildung ab, bevor kürzlich ihr langersehnter Wunsch wahr wurde: ein Baby. Seither staunt sie über ihr niedliches, kleines Wunder, das sie aber auch sehr fordert. Krasser könnte der Kontrast zwischen den beiden Leben nicht sein: Vorher von Kontinent zu Kontinent, agiert sie nun zwischen Babybett und Küche. Der Mann macht Karriere im Management und promoviert parallel. »Es ist schon erstaunlich, wie stillschweigend Haushalt und die gesamte Verantwortung fürs Kind einfach der Frau übertragen werden«, konstatiert sie.

Liebe erträgt viel, aber mehr Zeit für sich, die Hobbys, Essen und Schlafen nach unserem Bio-Rhythmus, Nichtstun ohne sich schäbig zu fühlen, Entscheidungen treffen, ohne Rücksprache zu halten oder ein Sonderkommando an Babysittern organisieren zu müssen, das wäre schon fein. Ja, die Mutterliebe hat etwas Erhabenes und ja, unsere Weiblichkeit hält einen bunten Strauß an besonderen Fähigkeiten für uns bereit. Doch die Bürde ist gleichsam schwer. Dadurch ist der Zugang zu unserem eigenen Universum oft blockiert. »Wenn auf Erden Glück möglich ist, dann erst, wenn wir die Größe der Frau begriffen haben«, stellte der russische Schriftsteller Maxim Gorki vor über 100 Jahren klar.

Wir könnten größer und freier sein, wenn wir uns nicht mehr für alles verantwortlich fühlen, nicht immer Perfektion anstreben und unsere Bedürfnisse klarer artikulieren würden – für uns selbst und jene, denen wir soviel Macht über uns gewähren. Unser lang gehütetes schlechte Gewissen, nicht allem gerecht zu werden, dürfen wir ablegen – ebenso wie das Hochglanz-Multitasking-Superheldinnen-Bild. »Finde dein eigenes Tempo und deine Richtung. Das Wichtigste dabei ist die Entdeckung der kleinen Schritte. Ich lernte, dass ich es nicht eilig haben durfte und dass es keine Abkürzungen gab«, erklärte die Mutter der Familientherapie Virginia Satir in ihrem Buch »Meine vielen Gesichter«.

Wenn wir unseren eigenen kostbaren Wert selbst mehr würdigen, uns als Wunder begegnen – wie es Männer so gut können – bekämen wir auch die verdiente Wertschätzung von außen