Übelst pauschal, aber wahr: Der Lifestyle der Jugendlichen von heute wird von ihrem Medienkonsum bestimmt. Sie sind „24/7“ online und präsentieren sich, vergleichen, bewerten, liken und dissen. Die medialen Influencer mit ihren Trends und Botschaften sind omnipräsent im Alltag der jungen Follower. Sie tragen Stone Island und Gucci, die Frisur „Seiten auf Null“ oder lange Wasserwellen und Gelnägel. Der Wortschatz ist reduziert und multikulti. Die Lebenshaltung: „Chill dein Leben, Habibi!

Als Eltern kann man sich lässig fühlen wie man will, in den Augen der Halbwüchsigen ist man uncool und hat keine Ahnung vom Leben. Das gab es schon immer und wird sicher so bleiben. Neu ist die virtuelle Parallelwelt, in der die Jugendlichen von heute präsenter sind, als in der Realität. Diese neue Welt kennt die ältere Generation wirklich nicht in diesem Ausmaß. Und diese verändert die Sozialisation der jungen Menschen völlig.

„Kommentier nicht meine Bilder auf Insta! Das ist voll peinlich, Mutta!“ Ja, aber dafür werden doch Bilder gepostet, dachte ich. „Wir kommentieren aber anders, also gar nicht. Das verstehst du nicht!“ Letzteres gehört zum täglichen Repertoire seiner Kommunikation mit mir und den längsten Sätzen, die der 17-Jährige mit mir spricht. Ansonsten sind es nur seltsame Laute, Grölen, Silben, undefinierbare Ausdrücke.

Klar, jede junge Generation hat ihre eigene Sprache. Diese hier kommuniziert verbal wie sie schreibt: karg, abgekürzt, zwischen den Zeilen, über Bilder und Emojis. Meine Frage darf zwei Worte nicht übersteigen, sonst muss der Jugendliche zu viel sprechen und kostbare Zeit investieren, die er lieber am Handy wäre.

Willst du die Jugend verstehen, dann nutze ihre Methoden! Ich schreibe ihm also eine WhatsApp, wenn ich was will, vom Raum nebenan. Damit erreiche ich ihn super. „Yep. No. Kp. Chill. Gönn, digga. Nice, …“ und dampfende Emojis als Antworten bergen viel Botschaft. Ich versteh sie nur nicht.

Ihr Humor ist aber herrlich – nicht! Er ist sehr ironisch, trocken und zweideutig. Hinter unsympathischTV etwa verbirgt sich ein bei Jugendlichen beliebter Youtuber. Es sollte eher unwitzigTV heißen. Doch er trifft offensichtlich den Lachmuskel und Nerv der Heranwachsenden heute. Fast 2,5 Millionen Abonnenten bestätigen das.

Eine weitere Erkenntnis habe ich auch schon gewonnen: Ich muss lauter reden, dann versteht er mich eher und ich übertöne möglicherweise den Deutsch-Rap in seinem Ohr. „Brra, Grrr, hab Ferrari, geh in Louis V und ziehe Schnee,…“ Die Inhalte und Videos sind so übel. „Beleidigen solche Texte nicht deine Intelligenz?“, frage ich den Sohn. Natürlich nicht. Es gehe doch dabei um das Feeling! „Meine Musik is deep!“ Nun gut, Hand aufs Herz: Waren denn die Songtexte in unserer Jugend besser? Sie waren auf englisch, versaut und ich verstand sie kaum. Aber auf einen Unterschied bestehe ich: Die konnten früher echt singen und rappen! Diese Verzerrte-Stimme-Autotune-Versionen sind doch eine akustische Qual! „Ich feier das übertrieben. Du bist Mittelalter, Mutta!“

Diese klassischen Generations-Differenzen betreffen auch den Style. Welch Drama es war, als an der Schule meines Sohnes ein Jogginghose-Verbot verhängt wurde. Die Rektorin war diese Schlabber-Look-Mentalität, die sich auch in der Motivation der Jugendlichen äußerte, leid. Nach anfänglichem Protest hat der Sohn nun aber sogar Gefallen an Jeans gefunden.

Zu den Slim-Fit-Hochwasser-Hosen und bei den Mädels bevorzugt High-Waiste-Jeans werden Nike Airforce Sneaker gerade getragen. Aber die weißen Tennis-Socken zu Badelatschen – das führt zur Enterbung! Dieser Gerade-Aus-Dem-Bett-Gefallen-Style ist tatsächlich sehr zeitaufwendig. Zweimal am Tag wäscht sich mein Sohn etwa die Haare, damit sie so „undone“ runterhängen und morgens werden wir mit Deosprüh vergiftet – er hat eine große Kollektion an Düften.

Die Rapper und ihre Fans tragen am liebsten Stone Island und Moncler, gemixt mit einer „Gönn-dir-Haltung“. Tatsächlich gönnen sich die Jugendlichen dann auch. Sie können offensichtlich gut Prioritäten setzen und sparen sehr ehrgeizig für die Luxusgüter. Mittags z.B. wird ein Discounter-Brötchen gekauft oder es gibt Schüler-Döner bzw. Mces. „Das geht auf dein Nacken!“ Das Taschengeld wird stattdessen für ein neues Smartphone beiseite gelegt oder einen Gucci-Gürtel. Sie sind auch solidarisch, großzügig und teilen geschwisterlich: die Hausaufgaben, den Alkohol, die Kippen und die neuesten Snaps. Auf Snapchat posten sie sich gegenseitig diverse Körperteile, Milli-Sekunden-Selfies in unvorteilhaftesten Posen. Hässlich ist cool. Die Mädels nutzen allerdings lieber die schmeichelnden Snapchat-Filter. Im Minutentakt wird über diese Snaps der Alltag geteilt. Oder auf TikTok die vermeintlichen Talente vorgeführt. Die Bestätigung im Außen zu finden ist zur Volkssucht geworden.

Einfallsreich und zielstrebig sind die jungen Wilden: es wird gebattelt, wer bekommt mehr Klicks, ist cooler, sexier, famer. Traumjob Nr. 1 bei Mädels ist vermutlich Influencerin auf Instagram und bei den Jungs Streamer auf YouTube und Twitch. Streamer verdienen ihr Geld, in dem sie beliebte Games durchzocken oder z.B. über andere Youtuber oder Musiker urteilen, egal wie langweilig ihre Analysen sind. Wenn Sie lässig oder witzig sind, erreichen sie eine große Community, die sie mit Spenden fördert. Klick, klick, gefällt mir was er sagt, er spricht meine Sprache, hört meine Musik, hat eine krasse Lebensgeschichte. Klick, Klick, ich sende ihm 20 Euro. Klick, klick, ich kaufe das angebotene Produkt auf Instagram, die Influencerin ist nämlich sowas von authentisch … Der Erfolg dieser Digital-Helden beweist gleichzeitig, dass sie was drauf haben, aber es nicht raushängen lassen. Die Jugendlichen haben feine Sensoren für Fakes oder Proleten. Sie stehen auf Realtalk und Idole, mit echten Geschichten. „Leben und Leben lassen!“, sagt einer der bekannten Youtuber.

Doch die Alltagsrealität des Nachwuchses ist surreal. Sie leben mit 1,5 Beinen in der virtuellen Welt. Dort ist alles rasant, es wird nicht lange rumgemacht, alle 3 Sekunden wird geklickt. Was geht im Kopf dieser jungen Menschen vor, bei so viel Input und Unruhe? Wie wirkt sich das langfristig auf ihre Zukunft und unsere Gesellschaft aus? Um die verblieben 25 % Aufmerksamkeit kämpfen Eltern und Lehrer, um Zugang zu den Sprösslingen zu bekommen. Sie erhalten gefühlt nur 3 Sekunden Gehör. Dann werden sie weggescrollt.

Der deutsche Freund meines Sohnes kommt zu Besuch. „Hey Habibi.“ „Hey, Bro. Wallah, komm lass Netflix suchten.“ Diese Generation ist echt international und tolerant. Obwohl sie sich astrein hochdeutsch artikulieren können, wird „Ghetto“ gesprochen. Hauptsache in Deutsch Zweier schreiben, aber bloß nicht zu viel Bildung raushängen lassen. Einerseits wortkarg, Understatement und Brüderlichkeit, andererseits labelfokussiert, ordinär und abgebrüht. Doch auch das ist nicht neu. Die Rapper der 80er/90er meiner Zeit waren auch empörend für unsere Eltern (und aus uns ist trotzdem was geworden). Dahinter steckt Abgrenzung durch Provokation, jugendlicher Leichtsinn gegen erwachsenen Pragmatismus, bad taste versus Spiessbürgertum der Eltern. Doch das Spiel der Generation wiederholt sich. Wie wird die Welt aussehen, wenn diese Jugendliche Väter und Mütter werden?

Tatsächlich kann dieser Beitrag über die Jugendlichen natürlich nicht pauschalisiert werden. Denn es gibt für alles auch Gegenbeispiele. Höfliche, redegewandte Jugendliche, Qualitäts-Rapper wie Kontra K. Erfolg ist kein Glück, singt er. Ja, das wissen die Heranwachsenden und wenn nötig, sind clever, durchsetzungsstark, verlässlich und sehr charmant: „Ehrenfrau! Ich küss dein Auge!“ Vielleicht verstehen die jüngeren Menschen das Leben wirklich besser: Ab in die Jogginghose und gönn dir was!