Freundschaft ist Ankommen
Ein Leben ohne gute Freunde ist kaum vorstellbar. Sie teilen unser Glück und Leid, ermutigen und erfreuen unser Herz. Eine tiefe freundschaftliche Beziehung ist unkompliziert, ehrlich, edel und krisenfest – das würdigen Dichter und Denker, ebenso wie die sechs hier Befragten. Über Jugendfreundschaften und mögliche Beziehungskiller.
»Die Freundschaft ist für das Leben das Notwendigste«, erklärte Aristoteles einst. »Oder wie ließe sich das Glück ohne Freunde hüten und wahren?« Gleichzeitig dienen sie auch als Zufluchtsort, um Trost und Bestärkung zu schenken. Über 2000 Jahre nach diesem Zitat übernachte ich bei der fünfjährigen Ella. Wir sind fast gleich alt, doch sie ist so viel selbstbewusster und unbekümmert. Sie redet viel, obwohl es nach Mitternacht ist und ich gern schlafen würde. Ich trau mich nicht. Ich finde sie so bewundernswert. Bis heute. Diese »Sandkastenfreundin« wird mein Zufluchtsort. Fast vier Jahrzehnte später immer noch. Doch vieles ist dazwischen passiert. Ich zog in der Grundschulzeit leider weg. Freundschaftskiller Nr. 1: Aus den Augen, aus dem Sinn. Die räumliche Trennung ist einer der häufigsten Gründe, warum intensive Freundschaften einschlafen. Lass ich nicht gelten. Es ist eine Frage der Haltung. Ich versuchte also, den Kontakt über Distanz zu halten. Ella lag das Schreiben und Telefonieren aber nicht so. Also verschloß ich sie tief in mein Herz und öffnete es für neue Freundinnen in der neuen Stadt.
Dort bereicherte eine besondere Freundschaft mein Leben als Jugendliche: Ich wurde Teil einer Fünfer-Freundinnen-Clique. In jeglicher Konstellation hatten wir Freude zusammen, teilten Glück und Pein, unterstützten und achteten uns. Diese Freundschaft besteht seit 25 Jahren immer noch, mit der gleichen Wertschätzung. Mittlerweile leben wir in drei verschiedenen Städte und haben 13 Kinder insgesamt. Doch wir treffen uns fast alle Schulferien. Diese tiefe, ehrliche Verbundenheit ist ein Geschenk und Privileg zugleich. Wenn ich meine »Homies« nach Monaten wieder sehe, fühlt es sich an wie Ankommen.
Freundschaftskiller Nr. 2: Die romantische Liebe funkt dazwischen. Ich war die erste, die deswegen wegzog, zurück nach Heilbronn. Es lässt sich oft beobachten, dass Freunde vernachlässigt werden, sobald ein Partner hinzukommt. Doch für mich zählt das Gegenteil. Dann erstrecht brauche ich doch meine Vertrauten! Jetzt ist das Leben noch spannender und komplizierter. Das will ich teilen, stundenlang zerreden, würdigen oder beklagen. Die Solidarität der Freundin – das ist die Welt.
Aber gute Freunde erkennt man nicht nur in der Not, wie es oft heißt, sondern auch wenn man glücklich ist und sie sich für dich freuen und dir alles gönnen. Denn die Missgunst, Tücke Nr. 3, ist absolut tödlich für eine Freundschaft. Das blieb mir zum Glück überwiegend erspart. Auch mit Ella, die bei meiner Rückkehr nach Heilbronn in Windeseile wieder in meinem Leben war. Als wären keine 15 Jahre dazwischen gelegen. Unsere Achtung vor dem anderen bescherte uns weitere 20 Jahre intensive Freundschaft. Fast. Denn es gibt leider noch eine große Gefahr für Freundschaften: Zeitmangel. Der entsteht spätestens, wenn zum Beruf noch Kinder hinzukommen. Die freundschaftliche Kommunikation schrumpft. Doch aufrichtige Freundschaft kann dieses Dilemma überwinden. Ella und ich gehen in Akzeptanz und hoffen. Vielleicht kommt unsere intensive Zeit wieder, falls nicht, war es eine fantastische.
Neben meinen Jugendfreundschaften haben sich auch in der Neuzeit viele bereichernde Beziehungen entwickelt. Jede Freundschaft ist individuell und besonders auf ihre Art. All diese Freunde schätzen, schützen und umhüllen mich und sind meine Heimat. Und mit voller Inbrunst verschenke ich mich ihnen auch.
Was bedeutet dir Freundschaft und wie lebst du sie?
Rosa Pereira, 51, Flein, Erzieherin: »Freundschaft steht für Freude, Wohlfühlen und sich ohne viele Worte zu verstehen. Ein echter Freund ist wie ein Fels in der Brandung oder eine Insel der Ruhe, wo ich mich wiederfinden kann. Was ich nicht mag, sind Rechenschaft ablegen zu müssen, Unehrlichkeit oder der Versuch, mich einzuengen.
Ich habe viele gute Freunde, aus meiner Kindheit, Jugendzeit und Arbeitswelt. Meine wichtigsten sind aber meine Schwestern. Ich widme meinen Freunden viel Zeit und bereichere sie mit meinem Optimismus und meiner ehrlichen und lebensfrohen Art.«
Eva Wieland, 19, Neckarsulm, Studentin: »In einer guten Freundschaft kann ich zu 100% vertrauen, mich frei und ungezwungen fühlen. Ehrlichkeit und Loyalität sind mir sehr wichtig. Neid und Hinterhältigkeit haben in meiner Freundschaft nichts verloren. Die gleiche Ehrlichkeit, Seelsorge und Liebe, die ich in einer Freundschaft suche, gebe ich auch wieder. Ich habe wenige gute Freunde, aber auf sie kann ich mich verlassen. Für gute Freunde findet man immer Zeit. Ich möchte mit ihnen noch viele Urlaube, Geburtstage, unsere Hochzeiten und Geburten erleben sowie ihnen in schweren Zeiten beistehen und in guten mit ihnen feiern – denn dafür sind Freunde da.«
Sven Seitz, 54, Ilsfeld, Sozialversicherungsfachangestellter: »Freundschaft basiert auf Vertrauen, Verantwortung, Vergebung. Sie fühlt sich vertraut an und entfaltet sich dann, wenn man sie am nötigsten hat.
Ich habe viele Menschen um mich, die mir nahe stehen, aber nur wenige echte Freundinnen und Freunde. Leider widme ich ihnen weniger Zeit, als ich es gerne täte, aber ich bin da, wenn ich gebraucht werde und ein ordentlicher Ratgeber in allen Lebenslagen. Empfindlich reagiere ich, wenn jemand meine Freundschaft nur sucht, weil er sich einen Vorteil verspricht. Privilegiert in diesem Land geboren zu sein und weniger Sorgen zu haben, als die Mehrheit der Menschheit, bin ich dankbar, mit meinem Freundeskreis gemeinsam alt werden zu dürfen.«
Katarina Acar, 38, Heilbronn, Mama: »Freundschaft heißt Lachen, Freude, Vertrauen und in guten und wie schlechten Zeiten füreinander da zu sein. Ich habe viele gute Freunde, aber wenige sehr gute. Ich pflege den Kontakt – doch mittlerweile haben alle Familien und andere Aufgaben. Aber auch wenn ich sie länger nicht sehe, entsteht bei einer echten Freundschaft sofort wieder ein vertrautes und warmes Gefühl. Als gute Freundin akzeptiere ich jeden so, wie er ist und bin vertrauenswürdig. Wenn mein Vertrauen allerdings missbraucht wird, ist es für mich keine Freundschaft. Ich freue mich darauf, was meine Freunde und mich im Leben noch erwartet – mit Partnern, Kindern und alles was wir gemeinsam meistern.«
Leonard Franzke, 19, Möckmühl, Student: »Bei einem guten Freund fühle ich mich immer wohl. Wir erleben gute Momente, teilen unsere Freude und unterstützen uns gegenseitig. Tabu ist für mich, anvertraute Sachen ohne Erlaubnis weiterzuerzählen. Ich habe wenige gute Freunde. Wir schreiben und treffen uns ab und zu – wir können aber auch zwei Wochen ohne einander. Wenn ich gebraucht werde, bin immer da, egal wann. Denn ist mir die Freundschaft wichtig, gebe ich mir dafür viel Mühe. Ich möchte mit meinen Freunden noch viele Reisen erleben und schöne Erinnerungen sammeln.«
Julia Gabriel, 24, Heilbronn, Internationale PR-Koordinatorin: »Gute Freundschaft fühlt sich frei, ungezwungen, verlässlich, geborgen und sicher an. Ich kann ich selbst sein und offen kommunizieren, ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Ich habe nur eine Handvoll enger Freunde, für die ich leider wenig Zeit finde. Das ändert aber nichts an der Tiefe unserer Freundschaft. Wenn es darauf ankommt, bin ich eine verlässliche Freundin und gebe dann alles. Auf Klammern oder Unehrlichkeit reagiere ich allerdings sehr empfindlich. Irgendwann will ich mit meinen Freunden zurückblicken und schmunzeln über unsere vergangenen Fehler, die bewegten Zeiten, die wir gemeinsam durchgestanden haben, und uns daran erfreuen, wie das Leben uns von guten Freunden zu Familie gemacht hat.«