Ohne Fehler fehlt Menschlichkeit
Ganz schön verzwickt die Sache mit den Fehlern im Leben. Einerseits lernen wir aus ihnen und wachsen daran, andererseits kratzen sie ganz schön am Ego. Neun Blickwinkel auf ein kontroverses Thema.
»Non, je ne regrette rien« (Nein, ich bereue nichts), sang Chansonsängerin Edith Piaf 1960. Der Song ist vor allem aus der Werbung bekannt, wo es um verführerische Schokolade geht. Süßes ist Hüftgold, Balsam für die Seele – ich kann mich gut rausreden, wenn es darum geht, nicht zu bedauern. Doch wann kommt der Punkt, wo sich Reue ins Bewusstsein drängt und ich mein Handeln als fehlgeschlagen empfinde? Wenn ich mich z.B. gedemütigt fühle, dann bereue ich mein entgegengebrachtes Vertrauen. Wie an einem sonnigen Tag in der Heilbronner Innenstadt. Ich glaubte dem jungen Mann, dass es nur ein Zeitschrift-Probeabo sei. In Wirklichkeit ließ ich mir zwei Magazin-Abos für je zwei Jahre andrehen. Fürs Leben gelernt? Naja, eher Scham bis ans Lebensende. Der arme Frosta-Vertreter an der Tür muss seitdem dafür büssen und wird immer harsch abgewimmelt.
Jeder hat seine eigene Toleranzgrenze. Viele sind zu streng mit sich. Dabei sind wir gerade unperfekt perfekt. Mit Ecken, Kanten, Rundungen, Wendungen. Erkenne ich meine eigene Fehlbarkeit an, macht mich das weicher, toleranter und menschlicher. »Null Fehler in der Mathematikarbeit sind gut, null Fehler in der Persönlichkeit machen unbeliebt und unnahbar«, erklärt Profi-Jongleur Andreas Gebhardt. Er hat sich als Keynote-Speaker auf das Thema Fehlerkultur spezialisiert. »Gäbe es keine Fehler, käme das Neue seltener in die Welt. Das heißt, ohne Fehler fehlt mir was, nämlich Erfahrung, Verbundenheit und Wachstum.«
Sieben Zeitgenossen äußern sich zu ihrer persönlichen Fehlerkultur.
Norbert Nagy, 34, Weinsberg, angehender Grafik-Designer:
«Ich bin zu perfektionistisch und setze mich unnötig unter Druck. Meine Disziplin treibt mich an und ich erlaube mir keine Fehler. Wenn sie passieren, bedrückt mich das dann sehr.
So bedauere ich auch, dass ich nicht studiert, sondern 10 Jahre am Stuttgarter Flughafen, in einem nicht für mich bestimmten Job, vergeudet habe. Am meisten aber bereue ich, dass ich mir erst mit 30 erlaubte zu sein, wie ich bin, nämlich bisexuell.
Ich habe zum Glück aus fast allen Fehlern gelernt. Uni war einfach nichts für mich. Dafür habe ich Fachabitur mit Schwerpunkt Architektur absolviert, dann Landschaftsgärtner gelernt. Jetzt mache ich Grafik-Design. Meine Interessen sind vielfältig, doch ich profitiere davon. Durch die Arbeit am Flughafen konnte ich mir viele Herzensprojekte finanziell ermöglichen. Was ich aus allem gelernt habe? Ich rede mir nicht mehr ein, ich wäre noch jung und hätte alle Zeit der Welt. Meine Ziele sind gesetzt und werden verfolgt.«
Silvia Dehabe 40, Markgröningen, Sales Support:
»Fehler sind ständige Lebensbegleiter. Einige Fehler, die in meinem Leben passiert sind, haben sich später zu meinem Vorteil ergeben. Manchmal wird man durch solche erst zu seinem Glück gezwungen. Im Nachhinein war ich also sehr dankbar dafür. Ich habe in meinem Leben vieles lernen müssen, auch anderen Menschen nicht mehr Bedeutung zu schenken als mir selbst. Dadurch entfalten sich meine eigenen Qualitäten.
Als werdende Mutter arbeite ich an meinen Drang zum Perfektionismus, denn mein Baby soll erfahren, dass Fehler zum Leben dazugehören. Nur so können wir lernen, wachsen und uns entwickeln.«
Jasmin Hofmann, 31, Dörzbach, Koordinatorin im Betrieblichen Gesundheitsmanagement und Yogalehrerin:
»Welche Fehler mir immer wieder passieren? Hektik bei Termindruck. Dann stolpere ich über herumliegende Dinge und bin unruhig. Früher ärgerte ich mich sehr über mich. Mittlerweile schmunzel ich darüber und nehme es als Zeichen, einen Gang zurückzuschalten. Dann besinne ich mich kurz, dass es nicht schlimm ist, fünf Minuten zu spät zu sein.
Vertrauen zu brechen ist etwas, dass mit Schmerz für mich und andere verbunden ist. Deshalb bin ich hier sehr streng mit mir, da ich immer absolut vertraulich sein will.
Das Wort »Fehler“ klingt für mich zu hart – es sind alles Erfahrungen und Entscheidungen, die helfen, das Leben in all seinen Facetten schätzen zu lernen. Wichtig ist, dass ich wahrnehme und reflektiere, was ich vielleicht zukünftig besser machen kann.«
Steffi Knöpfel, 42, Darmstadt, Coach:
»Ich falle Menschen unbewusst oft ins Wort, weil ich gedanklich die Sätze vervollständige und leider auch ausspreche. Doch ich bereue nichts. Die Buchstaben des Wortes Fehler umsortiert, entsteht der Begriff HELFER. Fehler passieren und einige von ihnen lösen in uns unangenehme Gefühle wie Scham, Zweifel und Versagensangst aus. Ich persönlich reagiere sensibel, wenn Menschen andere erniedrigen oder in ihrem Dasein in Frage stellen. Grundsätzlich beobachte ich aber, dass ich mit mir strenger bin als mit anderen. Für andere habe ich viel Verständnis, für mich selbst nicht. Das erlebe ich auch in meiner Arbeit als Coach. Meine Klienten sind oft sehr streng mit sich selbst. Die einfache Frage: »Stell Dir vor, Deine beste Freundin/Dein bester Freund würde Dir Deine Geschichte erzählen, was würdest Du raten?« löst meist ein Aha-Moment aus.«
Jörg Hehn, 42, Wüstenrot, Personalentwickler:
»Über manche meiner Ungeschicke stehe ich heute drüber, z.B. wenn ich den Hundenapf mit Wasser fülle, zum Platz trage und immer was verschütte.
Manche Fehler würde ich aber gern rückgängig machen, z.B., dass ich meine Schulbildung vernachlässigt und nicht studiert habe. So war es ein harter steiniger Weg.
Aus vielem habe ich aber gelernt, etwa Menschen mehr zuzuhören und ihnen so Respekt und Anerkennung entgegenzubringen. Außerdem mich nicht nur von meinen Emotionen leiten zu lassen, denn damit habe ich mir viel in meinem Leben verbaut. Ich denke nun viel rationaler und wäge ab, bevor ich entscheide. Erstrecht seitdem ich beruflich und privat mehr Verantwortung trage.
Ich bin sehr fehlerfreundlich – doch null Toleranz habe ich beim Thema Alkohol. Ich habe einen enormen Gerechtigkeitssinn, den ich auch auslebe.«
Yara Moteirek, 25, Freiberg am Neckar, Assistentin der Serviceleitung:
»Immer wieder fange ich zu spät mit dem Lernen an. Ich weiß, dass ich unter Zeitdruck gut arbeiten kann. Aber ich muss darüber lachen, dass ich mich stets in diese Situation bringe.
Jeder Fehler ist wichtig – um daraus zu lernen. Deshalb bereue ich nichts. Was ich gelernt habe ist, nicht jedem zu trauen, sondern nur einigen wenigen. Entsprechend reagiere ich sehr empfindlich darauf, wenn Menschen mein Vertrauen missbrauchen. Wo ich mir keine Fehler erlaube ist in der Arbeit. Wenn ich Sachen für meinen Chef abarbeite, versuche ich sehr gründlich zu sein. Zudem ist mir wichtig, für meine Liebsten immer da zu sein und sie niemals im Stich zulassen.«
Kim Brandt, 26, Heilbronn-Böckingen, Friseurin, Mitarbeiterin im Kosmetikstudio:
»Ich habe ein ausgeprägtes Schuldbewusstsein und kann daher selten über meine Fehler lachen, sondern sorge mich über deren Auswirkungen. Ich lache mittlerweile aber über mein vermasseltes Abi, weil ich das mit etwas mehr Mühe locker bestanden hätte. Ich bereue das Nichtzuendebringen und das Nichtausführen jeder Sache und Idee. Ich bin eine Art »faule Perfektionistin«, die eine Sache oft nicht macht, weil allein der Gedanke an ein unperfektes Ergebnis mich ausbremst.
In meinem Beruf lege ich alles was ich tue auf die Goldwaage. Bereits kleine Fehler lassen mich nachts wach daliegen, weil sie in Dauerschleife in meinem Kopf kreisen. Aus mehreren toxischen Beziehungen mit manipulativen Menschen habe ich aber viel gelernt. Ich sehe vieles jetzt klarer und kann mich und andere so besser schützen. Der größte Fehler, den ich machen könnte, wäre zuzulassen, dass meine Ängste ewig mein Leben kontrollieren, statt aktiv nach Glück und Zufriedenheit zu streben.«